Das Rätsel

 – in Bearbeitung –

“Alles Leben ist Problemlösen” Karl R. Popper

Zugegeben: Die Frage, warum wir spielen, ist auch nur dann interessant, wenn die Lust daran zum Problem wird. Erst dann fällt auf, dass der Energieaufwand eigentlich so gar nicht zu dem passt, was wir mal über die Prinzipien der Evolution gelernt haben. Hilft mehr Liebe, wie einige Neurobiologen meinen? Für konkrete Tipps fehlte bisher die Unterscheidung: Was genau ist in dieser Welt anders, als in der “normalen”?

Spiel wirkt wie ein schwarzes Loch, das die Vielfältigkeit unter Preisgabe jeglicher Differenzierung eingesaugt hat, hoch energetisch und zutiefst rätselhaft.
Jürgen Fritz, (2004, 16)

 Je nach wissenschaftlicher Disziplin wird im Spiel etwas umgestellt oder ein Entscheidungsbaum gekappt. Es gibt unzählige Kategorisierungen, die Spiele untereinander unterscheidbar machen. Aber es fehlt ein Merkmal zur Abgrenzung von dem, was nicht Spiel ist.  So wechseln auch die Gegenbegriffe. Je nach Perpektive wird dem Spiel Ernst, Alltag oder Arbeit gegenüber gestellt. Der Spielforscher Hans Scheuerl schiebt es auf die wissenschaftliche Zergliederung, in der immer nur spezielle und sich widersprechende Bausteine aus Beobachtungen und Einschätzungen anfallen: “Fast für jeden Satz, der zur Erklärung oder Deutung von Spielen formuliert worden ist, lassen sich auch Gegenbeispiele finden.” (1997,16) Die Suche ist so schwierig, weil der Gegenstand der Beobachtung vom Bauen einer Sandburg über WoW bis hin zur Lebenseinstellung reicht. Die Konturen verschwimmen immer wieder. Komplexe Onlinespiele wie „Eve“ lassen mittlerweile sogar die Regeln offen und spiegeln nahezu vollständig die Komplexität unseres Alltags.

Unbestritten ist die besondere Realität. Auch die Spieltheorie setzt dafür bei Limitation an. Manfred Eigen und Ruthild Winkler (2005, 11) bezeichnen die Technik als begrenzten Entscheidungsbaum. Mit einer künstlichen Eingrenzung von Handlungskriterien reduziert sich die Rechenleistung bei der Ermittlung möglicher Absichten angesichts ihrer Unendlichkeit. Doch wo ist der gemeinsame Nenner mit Spielen, die auf Unberechenbarkeit, auf Unendlichkeit aufbauen – Kreativspielen, wie z.b. playing art? Was verbindet Tamagotchi und Schach?

Spiel ist Freiheit und es ist Wiederholung – aber es findet auch als kurze Momentaufnahme ohne Wiederholungen statt – oder kann sich über Wochen hinziehen.

Die Nähe zum flow wird häufig genannt. Aber wie verträgt sich das beispielsweise mit Rollenspielen in Personalentwicklungsworkshops? Dagegen spricht auch, dass Spielende sich auf einen Spannungsbogen einlassen, der im Ausprobieren, im Risiko aus Scheitern oder Gewinnen entsteht.

Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Spiel reden? Bis heute sind wir – wie Thomas Vacek (2012, 639) es formuliert – auf das intiutive Erkennen von Familienähnlichkeiten angewiesen. Die traditionell zuständigen Disziplinen wie Psychologie, Pädagogik oder Anthropologie tun sich mit einer Antwort schwer. Einige erkennen psychosoziale oder psychophysisch stabilisierende Funktionen. Andere, wie der Spieleforscher Brian Sutton-Smith (1978, 98), eine aktive dynamische Umweltanpassung. Beide Auffassungen werfen Fragen auf. Denn ausgerechnet beim Spielen verhalten sich Menschen unkontrolliert und gegen die Regeln der Evolution – verlieren alles aus dem Blick, was die Welt im Takt hält: Produktion, Konsum, Macht oder Fortpflanzung.

Dabei ist es nicht so harmlos, wie es scheint. Einzelnen Menschen droht die Spielsucht. Interessanterweise sind davon häufig Persönlichkeiten betroffen, die mit einem hohen Erfolgsrisiko leben und “für andere spielen”: Profifußballer oder Künstler, wie Wolfgang Amadeus Mozart.

Gesellschaften fühlen sich dagegen von der Unkontrollierbarkeit des Spiels bedroht. In der DDR fiel gleich die gesamte Produktion von Spielen unter die Zensur. Das demokratische Deutschland stört sich an individuellen Rollenbrüchen – hier sind es beispielsweise  Bilder vom spielenden Wolfgang Schäuble im Bundestag.

Dass Spielaktivitäten in offenen komplexen Gesellschaften massiv anschwellen, ist nicht zu übersehen. Und sie steigert sich die Komplexität offenbar besonders rasch. Die rasante Entwicklung im PC-Bereich wird dem parallen Spielen zugeschrieben. Entsprechend nutzt die Wirtschaft das Spiel als Kreativitätspool und unter dem Stichwort gamification auch als Motivationspool.

Was steckt dahinter? Der Zugang zu einer Thematik fällt leicht, und doch wird Intendiertes nicht wirklich gelernt. Spielerlebnisse bleiben – auch hirnorganisch – in ihrer eigenen Welt. Wo liegt dann die Schnittstelle zwischen spielerischer Probierbewegung und Gesellschaft, wenn sie ihre Komplexität parallel zueinander entwickeln? Warum geht es für jemanden wie Heisenberg (Immer, wenn ich nicht mehr weiter wusste, habe ich gespielt.) gerade durch das Spiel weiter?

Und schließlich: Warum spielen manche ein Leben lang, warum hören andere ganz damit auf? Was macht den Reiz aus – das energetische Potenzial (Fritz) ? Oerter erkennt sie in seinem handlungstheoretischen Konzept im Ausbleiben von Folgen durch die Exklusion von Realität. (s. Oerter/Montada 2008, 245ff). Woher kommt dann die Motivation, die bei einer Belohnungserwartung biochemisch gebahnt wird? (s. Roth 2007, 154, Heckhausen 1988, 157).

Wo in der Wissenschaft bisher ein Merkmal zur Unterscheidung von Spiel und Nicht-Spiel fehlte, haben die Spielenden in ihrer Realität offenbar längst die Unterscheidung gefunden. Denn sie verstehen, ob gespielt wird oder nicht. Sie unterscheiden zwischen Falschspielern und Spielverderbern. Der Falschspieler hält sich nicht an Regeln, verdirbt das Spiel jedoch nicht, weil er sich noch im Spielmodus verhält. Der Spielverderber hält sich zwar an Regeln, aber er vergiftet durch sein Verhalten, seine Einstellung die energetische Quelle. Ein wichtiges Indiz dafür, dass die Differenz nicht in äußere Bedingungen, sondern in der inneren Haltung zu suchen ist.

Bei der Suche hilft ein Perspektivenwechsel: Menschen, die nicht gerne spielen, begründen dies mit der eingeschätzten Sinnlosigkeit und Kontrollverlust. Schaut man da nun genauer hin, finden sich auch in der Theorie etliche Hinweise. Ob wir ein Tun, eine Bewegung als Spiel erkennen, hängt offenbar von Vorverständnissen ab. Darin sind allemal nicht nur pure Wahrnehmungen, sondern auch Sinngebungen enthalten. Und zwar sowohl Sinngebungen dessen, der selber spielt, als auch dessen, der als Zuschauer oder Beobachter ein Spiel als solches erkennt.

Hans Scheuerl 1997, 218

Die Geschichte unseres Spiels reicht bis an den Anfang der Zeiten zurück. (M.Eigen/R.Winkler, 2005) Maturana wird dazu ganz konkret. Für ihn ist das Spiel das Verhalten vor der Evolution von Sinn – vor der Temporalisierung von Kommunikationen. Gegenwärtig wahrnehmbare Einheiten aus Handlung und Emotion (Maturana/Verden-Zöller 2005, 21) seien auch auch heute noch die Grundlage für Vertrauen – und damit für die Entwicklung der Menschen in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung. Er geht also von einem Primärverhalten aus. Antworten auf die wachsende Komplexität von Spielarrangements, zur Motivation für Einzelspiele oder auch als Lebenseinstellung bleibt er als Biologe schuldig.

Dass das Thema bisher nicht aus Sicht der Theorie sozialer Sinnsysteme untersucht wurde, liegt sicher auch daran, dass ein Spiel ein Zerfallsprodukt und somit kein Beobachtungsgegenstand für Systeminteressierte ist. Doch müsste sich der Anspruch der Theorie auf Universalität auch bei Beobachtung dieser Umwelt von Sinnsystemen beweisen. Luhmann (1996, 97) erkennt zwar eine Realitätsverdopplung ohne Negationszwang, deren Funktion in Unterhaltung und damit kultureller Stabilisierung läge. Immerhin verweist er aber einmal – wenn auch wohl eher ironisch gemeint – auf einen Fluchtpunkt der Sinnlosigkeit (1984, 337) Spiel war eben nicht sein Thema.