Zurück in die Zukunft: Warum Menschen spielen

Warum hängen in den Casinos von Las Vegas keine Uhren?

Sie wollen jetzt eine Antwort? – Gut.                                                                                               Und Sie klicken genervt weiter, wenn das zu lange dauert? – Noch besser!                                              Dann sind Sie mitten drin im Thema: Ihre Systeme meutern, denn die haben nur Spaß, wenn  wenn sie angefangene Probleme auch abschließen. Das können sie nicht, wenn kein Ende in Sicht ist. Im Alltag entstehen solche losen Enden durch unseren Umgang mit der Zeit. Denn die können wir denken, aber nicht fühlen. Im Spiel haben wir das Ende wieder im Griff – darum geht es hier.

Nur selbst gelöste Probleme machen Spaß – also keine Antwort auf das mit den Uhren im Casino! Wer spielt, will nicht lernen und auch nicht kreativ sein. Im Gegenteil: Spielende schaffen sich künstliche, vergängliche Probleme. Nichts, was Systeme interessiert. Aber Jedes Verhalten ist eine äußere Sicht des Tanzes der internen Relationen des Organismus. (Maturana/Varela,180). Nervensysteme versuchen, die Homöostase konstant zu halten. Es gibt also ein Problem, wenn Menschen spielen.

Für lebende Systeme heißt das Kernproblem: Es muss weitergehen. Begriffe wie “grausam” oder “Horror” leiten sich  als Beispiel von Formen des Stillstands ab, vom “…körperlichen Vorgang des lähmenden Entsetzens.” (Seidel,131).

Folgt man dem Ergebnis der Studie auf der Grundlage der Theorie Sozialer Systeme allein, so entsteht ein Problem beim Prozessieren von Erwartungen im Medium Sinn. Betroffen wären Kommunikationssysteme – Gesellschaften – und psychische Systeme, da beide Sinn für ihre Autopoiesis nutzen. Die Selbstreferenz der Gesellschaften betrifft es zunächst nicht, denn doppelte Kontingenz hält ihre Realitätsebene durch maximale Versorgung mit Irritationen gerade geschmeidig. Realitätsprobleme treten aber in der Umwelt psychischer Systeme, der Menschen auf – vor allem in der Zeitdimension: ihre Selbstreferenz – baut sich auf zurückrechenbare Handlungen auf, die sie aus dem Fluss ständig zerfallender Kommunikationselemente (s. Luhmann 1984,78) beziehen. Oder anders gesagt: erst durch eigene Ent- und Unterscheidungen werden wir zum ich.

Auf der Seite biologischer Systeme jedoch muss nicht lange gesucht werden. Die Balance aus Herausforderung und Übereinstimmung kippt. Das Spiel kann dann zum Ersatz für Systemschließungen durch Handlungen in einer künstlichen Gegenwart werden. Denn akzeptiert man das Modell der Zeitkonstruktion, so ist der Fluss von Sinn für das Bewusstsein oft zu schnell oder zu langsam. Er bewegt zu viel oder zu wenig. Passiert zu wenig, wird das informationssüchtige Bewusstsein nervös (immer sehr schön im Stau auf der Autobahn spürbar) – und fängt an, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das funktioniert gut, wenn es schon ausreichend Bestätigungen im Leben gefunden hat. (Ohnehin ist das Gehirn nur zu einem verschwindend geringen Teil mit der Verarbeitung von Außenkontakten beschäftigt.)

Zu viele spannende Probleme dagegen lähmen. Wo die Zeit keine Korrekturen zulässt – Fehler zum unkalkulierbaren Risiko werden, bleiben wir bei Bewährtem. Das was es wirklich fasziniert, bleibt Erlebnis im Kopf – wird zum Scheinriesen in der Umwelt. Ohne den Reiz der handelnden Auseinandersetzung sind wir aber genauso wie der saturierte Bandwurm (Hüther,2009,122) von Abstumpfung und Degeneration bedroht. Der Resonanzboden wird starr. Und das heißt für Menschen, deren Bewusstsein auf Sinn angeweisen ist: Langeweile, Enttäuschung und am Ende das Gefühl von Isolation.

– Nihil est in intellectus, quod non prius fuerit in sensu –

Weil der Fluss nicht verändert oder aufgehalten werden kann, muss der Mensch etwas ändern. Dem Ergebnis der Studie nach löst er sich vom Grundgesetz der Sinngesellschaften, der Goldenen Regel, und ersetzt sie erkennbar durch eigene Verabredungen. Mit der Limitierung von Erwartungen löst sich das strategische Konstrukt aus Bedeutungen in der Zeit auf. Mit diesem Trick entsteht nicht nur die Gleichzeitigkeit im Bewusstsein, die aus Kindertagen vertraut ist. Spielenden steht auch die jeweilige Bedeutung zur Verfügung – sie erzeugen sozusagen aus dem Wasser des Flusses Seifenblasen. Innen wiederholt sich Erleben und Handeln zu dem Sinn, der sich an der Membran spiegelt.

Ein Sein entsteht, das im Sinne Parmenides’ (Vasek,14) zwar nicht unzerstörbar ist, aber immerhin in sich abgeschlossen. Als Spannungsbogen ist das ja schon mal was. Es reicht, um extreme Wirklichkeiten aus worst/best case zwischen den Gegenpolen auszureizen. Als biologisch zirkuläre Stimulation – in der Einheit der Gegenwart – lässt sich Brian Sutton-Smiths Modell des dialektischen Prinzips nachvollziehen: Das Spiel als Seifenblase in der eine mögliche Wirklichkeit immer entlang und in Steigerung einer jeweils erreichten Komplexität (rhetorics) in allen Extremen wahrnehmbar wird. Der Bedarf ist da. Schon kleine Kinder entwerfen übertrieben grausame Geschichten, die nach Piaget die Wahrnehmung anregen. Es prolongiert nach Sutton-Smith die Umweltfitness. Wenn es stimmt, dass die lebenslange Neurogenese im Hippocampus, dem Tor zur Neugier, besonders hoch ist, macht das biologisch Sinn.

Herr_Turtur Wer auf den Scheinriesen zugeht, wird belohnt. Normalerweise löst das Nervensystem bei Unterbrechung von Erwartungs­routinen Alarm aus – und der kann auch positiv ausfallen. Sutton-Smith nennt es Umkehrform Ein Spiel mit den Erwartungen ist ja der verstandene Witz (s. Luhmann 1984, 459).

Bei positivem Abweichen vom Erwartetem kommt es zu handfesten biochemische Reaktionen: der Studie von Waelti/Dickinson/Schultz (2001) zufolge ist die Ausschüttung des Belohnungshormons Dopamin dann besonders hoch.

Spiel löst so gesehen das Problem, das beim Problemlösen entsteht. Es geht offenbar nicht um Lösungen, sondern um emotionale Stabilität bei Annäherung und Affirmation des Problems.

Entscheidend ist, dass Menschen ihre Bewusstseinoperationen unter riskanten Bedingungen fortsetzen können und damit neurobiologische Kommunikationen für Problemlösungsstrategien aktivieren.

Die Stabilität auf der einen Seite des Spiels hält auch die Seite der Sinnwelt stabil. Sauber getrennt schützt es die laufenden Prozesse und das Erreichte vor der unkalkulierbaren Realität des Spiels. Diese saubere Trennung entsteht dann auf beiden Seiten im Bewusstsein durch das Kennzeichen Spiel.

Man gibt den Kindern Spielzeug zunächst nur, damit sie im Haus nichts anderes zerbrechen. (Aristoteles, Staat, VII, 6, zit. in: Scheuerl, 15)

Einer Zweijährigen gestehen wir das versunkene Erleben beim Verstreuen von Zucker auf dem Küchenfußboden noch zu (wenngleich schon nicht mehr über der Klaviertastatur), mit sechs Jahren wird das gleiche Verhalten bei einem gesunden Kind mit normalen Sozialerfahrungen nicht mehr als Spiel, sondern eher als Provokation bewertet. Denn in der Zwischenzeit wurden Verhaltensregeln sinnhaft transportiert und als verstanden rückgemeldet. Man kann also nun von dem Kind erwarten, dass es sich an die Regeln hält und kann davon ausgehen, dass auch das Kind eine Konsequenz erwartet.