Lernen

Monster, Mumien und Monopoly – was passiert im Gehirn?

Was Spaß macht, lernt sich wie von selbst. Das hat sich vermutlich auch Elizabeth Magie Phillips gedacht. Mit ihrem Landlords Game wollte sie vom Kapitalismus abschrecken. Der Schuss ging nach hinten los. Als Monopoly wurde es eines der erfolgreichsten Spiele überhaupt – in kapitalistischen Ländern! In einigen kommunistisch orientierten Staaten ist es auch heute noch verboten. Was ist da schief gelaufen?

Eigentlich müssten sich Spielthemen geradezu ins Gehirn einbrennen. Denn alles was die Hirnforschung fordert, damit sich Wege im Neuschnee festigen, ist gegeben: Neugier, Spaß, Konzentration, Strukturen. Bedingungen, von denen Schule oder Eltern nur träumen können. Auch die von Luhmann/Schorr (1999, 87) geforderten Lernbedingung – Systemöffnung ohne Gefährdung der Selbstreferenz – ist gegeben. Und doch ist es zweifelhaft, ob das Spiel wirklich auf erwartbare Probleme vorbereitet, wie Oerter (1993, 211ff) es versteht. Denn es lässt sich in keiner Untersuchung bei Spielenden nachweisen, dass etwas Intendiertes gelernt wurde. Wie das?

Immer wenn etwas gelernt wird, verdichten sich neuronale Signalbahnen bei gleichzeitiger Hemmung aller anderen Signale. Entwicklung und Kognition ist ohne diese Hemmung nicht möglich. Bei höheren Lebewesen entscheidet das bewertende limbische System über top oder flop (vgl.z.B. Thevs/Mutschler/Vaupel, 764). Lernen ist deshalb immer an Bedeutung gekoppelt.

Als soziale Wesen empfinden wir Lernen als gelungen, wenn sich dadurch effektives Verhalten im Bereich einer erwarteten Antwort einstellt (vgl. Maturana/Varela, 190). Da normalerweise Angst als Lernmotor ausscheiden sollte, ist Lernen bei uns eine Frage der Anpassungsleistung, von Antizipationsfähigkeit. Kommst du gut mit in der Schule? – die Nachfrage klingt vertraut. Ich merke eben leicht, was die Lehrer hören wollen, so der Kommentar einer 14-jährigen, die zum zweiten Mal eine Klassenstufe übersprang. Da Synchronisationsfähigkeit über die Anschlusschancen beim Übergang in die gesellschaftliche Partizipation entscheidet, bleibt – vor allem was Lernen in Schule betrifft – dies der wesentliche Motivation.

Die Klagen darüber, dass Schule die Schätze nicht so richtig heben hilft, gab es schon in der Antike. Die Systemsicht gibt zu Bedenken, dass Familie und Schule aber das Fundament bereit stellen, auf dem sich erst eine Identität bilden und wirken kann. Heranwachsende müssen sich als etwas Besonderes abgrenzen. Und das wiederum muss von anderen auch erkannt und verstanden werden. Gerade bei zunehmender Komplexität und ausgedünnten Familienstrukturen braucht die Gesellschaft einen gemeinsamen Resonanzboden, damit Synergie durch Synchronisation überhaupt gelingen kann.

Lernprozesse, bei denen etwas Sinnvolles herauskommen soll, sind besonders mühsam. Sinn lässt sich nicht vermitteln – er will gefunden werden. Eine mögliche Vorstellung muss zünden. Oder anders: Das Individuum reift, wenn es zu sich sagen kann das mache ich besser!

Vor allem aber sind Sinninformationen auf zeitliche Progression eingestellt (s. Luhmann, 1984, 77). Weil sie immer wieder abweichend sein müssen, verdampfen Wiederholungen. Sie werden vom biologischen Teil des Bewusstseins nicht mehr als Signal erkannt und führen deshalb auch nicht zur Verstärkung neuronaler Verschaltungen. Es bedarf vieler Kontextveränderungen, bei denen die Signale immer wieder anders erscheinen, damit sich Lernende ihre Muster und Strukturen selbst herausfiltern und den Sinn für sich ableiten können.

Diese Temporalisierung fällt im Spiel weg. Was einen starken Reiz ausübt, kann immer neu wiederholt und ins Extrem geführt werden. Biologisch steckt darin auch schon das Ende des Spiels. Denn dauerhafte extreme Reize führen auf synaptischer Ebene zur Adaptation, zur Abnahme der Erregungsfolge (vgl. Thevs/Mutschler/Vaupel,102). Es wird langweilig.

Aber was ist dann mit den entstandenen Wegen im Schnee – der Verdichtung neuronaler Bahnen? Entladen die sich bei WoW-Spielern nicht doch irgendwann in unkontrollierter Ballerei?

Es gibt ein weiteres Ergebnis der Studie: Im Gegensatz zu Probanden, die nicht gerne spielen, unterscheiden Spieler sicher, ob etwas in die Sinn-Welt oder in die Spielwelt gehört. Eine Bremer Studie weist sogar nach, dass Spielerfahrungen in anderen Hirnregionen gespeichert werden, als Alltagserfahrungen (Regenbogen/Herrmann/Fehr,2009). Man kann also von einer Trennung ausgehen: Wege im Schnee graben sich für die Spielwelt ein, sind aber nicht auf die Sinnwelt übertragbar. Lernen durch Wiederholungen hilft hauptsächlich beim Einschleifen biologischer Muster. Das Bewusstsein aber fragt: warum? Es braucht Begründung – eine Bedeutung, die nicht nur glaubwürdig sein muss, sondern auch zu den eigenen Perspektiven passen muss.

Wenn Sinnerwartungen nicht gelten, ist es auch nicht möglich, durch das Spiel eine Bedeutung zu vermitteln. Interessanterweise bleibt ja die Sprache in ihrer Funktion als Träger von bedeutungszuweisungen ausgeklammert. Das Medium für Sinn und Bewusstsein spielt im Spiel – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Die Bedeutung ist Anlass, um aus dem Thema ein Spiel zu machen. Es markiert, was Menschen gerade wirklich beschäftigt. Für Brian Sutton-Smith (1978, 78) ist es immer ein Konflikt, der gerade nicht bewältigbar erscheint. Die viele befremdende Gewalt ist deshalb ein Spiegelbild der Sinngesellschaft. Inbesitznahme und Macht, Kontrolle und Gewalt sind die Grundzutaten im Erfolgsrezept des Homo Sapiens, der – wie Maturana/Verden-Zöller (2005, 39f) zeigen – alle anderen menschlichen Gattungen effektiv verdrängte.

Wahrscheinlicher ist sogar, dass das Gegenteil herauskommt – wie im Fall Monopoly. Sowohl Sutton-Smith als auch Vygotsky beschreiben einen weiteren Mechanismus: der Rebound-Effekt. Lehrer kennen es als Kopfstandmethode. Denn ein Spielreiz entsteht ja durch Verzerrung der Realität – in einer Struktur des Defizits oder der Verstellung. Die extreme Auseinandersetzung mit dem Antagonisten macht neugierig auf das agonistische Muster. Oder anders: Wenn alles, was im Spiel möglich ist bekannt ist, verliert es seinen Reiz. Es lockt das Defizit, es lockt das Problem, das das Spiel ausklammert. Das Spiel nimmt das Problem auf, erzeugt aber eher Irritationen mit Stoßrichtung in das, was fehlt, und nicht in das, was gespielt wird.

Rückendeckung für diese Annahme gibt es auch aus konstruktivistischer Perspektive. Denn hier sind Spielende zunächst Beobachter erster Ordnung: Sie handeln, ohne zu hinterfragen (vgl. Fuchs,21). Sich auf den Gegenreiz einlassen heißt: das Thema in der Welt der Sprache zu beobachten – es zu hinterfragen als Beobachter zweiter Ordnung. Es liegt also nahe, dass im Gehirn neuronale Verschalten angeregt werden – es lernt dann intern zu kommunizieren. Wahrscheinlicher ist deshalb Sutton-Smiths Annahme, dass ein adaptives Verhaltenspotenzial auf unvorhersehbare Umweltveränderungen gebildet wird.

Ein Konflikt ist nur zu überwinden, … wenn wir uns in einen anderen Bereich bewegen, in dem Koexistenz stattfindet. (Mataurana/Varela, 265)

Leider hat Sutton-Smith eine Studie bisher nicht veröffentlicht, nach der 70& der in den USA zum Tode verurteilten Schwerverbrecher in ihrer Erinnerung nie gespielt hätten. Auch für Aaron Antonovsky (1997, 27) ist das Spielt wichtiger Teil im Konzept der Salutogenese, weil es das Kohärenzgefühl – die Widerstandsfähigkeit gegenüber Stressoren im Bewusstsein steigert. Den flexibleren Umgang mit der Attribution von Emotionen in Erwartungen nutzen Gesellschaften offenbar schon lange als Prophylaxe. So war es früher höfische Pflicht, ein definiertes, umfangreiches Repertoire an Spielen zu beherrschen. (Albertina, Wien)

Vielleicht auch das ein Grund, warum Spiel in Konfliktbehandlungen und Therapien so gut wirkt. Negative Erfahrungen lassen sich nun in neue, positiv bewertbare Zusammenhänge bringen. Das könnte die Überspeicherung des inneren Erwartungsbildes (Hüther,2009, 77) die Änderung der somatischen Markerfunktion (Damasio, 240ff) erleichtern.

Aber die Balance des inneren Dialoges aus erster und zweiter Beobachtung kann offenbar kippen – Thema Spielsucht. Unreflektierte Selbstwirksamkeitserfahrungen machen auch in der Sinnwelt süchtig – Politiker oder Stars bekennen sich häufig dazu. Das Risiko beim Spiel liegt möglicherweise gerade in der Trennung der Welten – der eigenständigen kurzen Regelkreisläufe. So erwies sich ein 18-jähriger Schüler mit autistischen Zügen, der jedem Gespräch und jedem Blickkontakt auswich, als erfolgreicher Moderator in der community eines komplexen Videospiels. Das Problem sind hier offenbar die langen Reizstrecken, in denen sich Selbtwirksamkeitserfahrungen – mit Dopamin vertärkt – aneinander reihen.

In der Therapie erlebte ich aber auch, dass so ein kurzer Rückkopplungskreislauf enorm nützlich und aufbauend sein kann: so konnte ein fast 90-jähriger, schwer vom Parkinson betroffener Patient wie ein Jugendlicher reagieren, wenn er vom Stuhl aus Fußball spielte.