Empirie

Limitierte symbolische Generalisierungen als Kennzeichen des Spiels – eine Studie zur Unterscheidung rekursiver Erwartungen in Spiel- und Alltagshandlungen
Dissertation bei Prof. Dr. Peter Ohler, Medienkommunikation, TU Chemnitz, 2010

(Freiwillig zur Begutachtung vorgelegt bei Prof. Dr. Peter Fuchs, Insitut für Systemtheorie. Kommentar: "…ausgezeichnet")

 

Die empirische Datenerhebung zielte auf Untersuchung der Hypothese, dass Spieler signifikant mehr sichere Zuordnungen von Erwartungsorientierungen aufweisen als Nicht-Spieler.

Zeit-, Sach- und Sozialdimension treten immer in einer unlösbaren Kombination auf. In normalen Kommunikationen gelten sie als nicht mehr fixierbar und uferlos. Ihre Funktionen sind aber gut unterscheidbar – erzeugen eine hohe Trennschärfe bei allen Beobachtungen im Kontext des Sozialen. Für Armin Nassehi ein Grund, zur Empirie zu ermutigen, da sie die Struktur des gesellschaftlich prozessierenden Sinns nicht mehr am Akteur festmache und sich dieser demzufolge in mehreren Dimensionen zugleich untersuchen ließe.

Die Indikatoren für die empirische Untersuchung enstanden durch Orientierung an den Endpunkten der Dimensionen, aus denen sich nach Luhmann der jeweilige Sinn zusammensetzt: Die Frage was, wann und mit wem – nach der Zugehörigkeit, nach dem geeigneten Zeitpunkt und dem geeigneten Thema der Profilierung. In Wortwahl und Inhalt lehnten sie sich an Aussagen, die von Spielern und Nicht-Spielern in einer qualitativen Vorbefragung ermittelt wurden.

Insgesamt wurden sowohl von der Experimentalgruppe als auch von der Vergleichsgruppe je 567 Aussagen zugeordnet. Für die Unterscheidung von sicheren und unsicheren Einschätzungen können nun alle Zuordnungen, die kein Differenzschema bedienen, zusammengefasst und tabellarische gegenübergestellt werden:


Zuordnungen aus dem kompletten Datensatz der Experimentalgruppe:

sicher

indifferent

abweichend

518          91,3 %

43            7,6 %

6          1,1%

Werte der Vergleichsgruppe:

sicher

indifferent

abweichend

253          44,6 %

261            46%

53         9,3 %

Aus der Verteilung sicherer Zuordnung versus abweichender oder indifferenter Zuordnungen geht hervor, dass bei Vorliegen von Spielerwartung versus Vorliegen von Nicht-Spielerwartung die Zuordnungen über alle Urteile hinweg hochsignifikant unterschiedlich mit  c2 = 284,5  (p < .001 = 10,83) vorgenommen wurden.

SPSS
Die Grafik dieser Zusammenfassung wurde über
SPSS erstellt.

Spiel unterscheidet sich von Nicht-Spiel entlang der Unterscheidung konvergenter und divergenter Erwartungshaltungen. Ein gemeinsames Merkmal steht zur Verfügung.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Im Gegensatz zu Probanden, die nicht gerne spielen, unterscheiden Spieler sicher, ob etwas in die Sinn-Welt oder in die Spielwelt gehört.

Auf ein Schema reduziert ließe sich Erwartungsorientierung durch Vektoren symbolisieren, die für das Abtasten von Umweltinformationen auf Basis von Differenz stehen, mit denen sich das System am Leben hält. Aus der homöostatisch organisierten Systemregulation eines psychischen Systems heraus wirkt die Divergenz symbolischer Generalisierungen rekursiv auf die Selbstbeschreibung des Systems ein.

Vektoren Im Spiel wird das Differenzschema für zeitliche, sachliche und soziale Sinnorientierung eingeschränkt, wodurch Erwartungen aller Sinndimensionen konvergieren und das System bei der Behandlung des aktual Erlebten stabil halten.

Konkrete Worte:
Was sagen Spieler, warum sie gern spielen? (aus der qualitätiven Vorbefragung)

  • kann tun und lassen, was ich will, brauche niemandem zu erklären, warum
  • kann mich frei bewegen, mich auslassen, macht man sonst nicht aus moralischen Gründen
  • muss nicht auf andere Leute Rücksicht nehmen
  • kann manches sagen, was ich sonst nicht sagen kann
  • Abstand von Familienproblemen, die zu komplex sind
  • kein Überblick in realer Welt
  • man konzentriert sich auf Regeln / Entfaltung in Regeln
  • Weiß genau, was ich zu tun habe
  • Vergesse im Spiel meine Alltagssorgen
  • denke nicht an reale Welt / baue eigene Welt / diese Welt ist in dem Moment alles!
  • Zeit vergeht wie im Flug
  • will gewinnen / Bester sein
  • man verbessert sich
  • man lernt andere Verhaltensweisen kennen bei Leuten, die sonst nicht gezeigt werden
  • man entwickelt Gefühl für andere Leute
  • es lebt sich leicht
  • kann viel lachen, weil ich mit Eigenschaften anderer entspannter umgehen kann

Sehr deutlich artikulieren die Spieler, wie sich für sie die empfundene Freiheit einstellt: soziale Rücksicht kann aufgegeben werden, wodurch sich das sachliche und soziale Geschehen intensiviert und das Bewusstsein für den Ablauf der Zeit in den Hintergrund tritt.

Die Kommentare von Nicht-Spielern, die sich aus dem Eindruck nach den Befragungen ergaben, lassen Spielsituationen in einem völlig anderen Bild erscheinen:

  • mag keine Risiko eingehen
  • will mich nicht blamieren
  • verliere ungern
  • als Kind wollte ich schon immer die Anführerin sein
  • will nicht enttäuscht werden
  • sehe keinen Sinn darin
  • Zeit- und Energieverschwendung, lieber lesen oder schlafen
  • möchte immer wissen, wie die Dinge weiterlaufen
  • zu viel Persönliches

Der Grund ihrer Ablehnung: Kontrollverlust, Angst das Gesicht zu verlieren, es kommt nichts Verwendbares dabei raus, reine Zeitvergeudung – eben sinnlos!

 

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