Konstruktion der Zeit

– in Bearbeitung –

“Zeit macht nur vor dem Teufel halt…”   

igelgrün

Sinnliche Systeme kennen kein timing. Kein Wunder, denn den Hauptgewinn haben wir schon: abgetrotzte Energie pulsiert in unseren Kreisläufen und Netzwerken. Mit dem richtigen Widerstand bleiben wir physikalisch gesehen ein Erfolgsmodell im Chaos der Umwelt. Dieses innere Bild wird mit jeder Probierbewegung schärfer. Denn Gefühl und Sinne überspeichern:  Ernst wird nur das, was wir allein oder im Rudel wiederholen können. Was sich nicht bewährt, wird gelöscht und vergessen. So enthält die “Festplatte” immer gleich gültige Ist-Werte –  eingedampft auf eine einfache Wahrheit im Gefühl, mit der wir sicher aus dem Bauch heraus entscheiden. Und das spiegelt die Vorzeichen: richtig ist, was innen wenig und außen viel Stress macht. Egoismus und „Schadenfreude“ macht glücklich. Schlecht ist echt. Fehler und niedere Instinkte wandern erst später in die Sonderzone “Spiel”.

Sinnhafte Systeme brauchen timing, weil wir hier unseren Gewinn auf einen Joker setzen – markiert als “Sinn”: Der Kopf entwickelt Bilder in der Vorstellung von einem besonderen Erfolgsmodell: abgesichert, berühmt oder – der Jackpot! – unsterblich. DannHase.pdf erwarten wir endgültige Zufriedenheit und fühlen das als Hoffnung. Das Kernproblem: Wir können Zeit denken, aber nicht fühlen. Über Soll-Werte entscheiden wir biologisch gesehen blind und brauchen Zeit, um die Erfahrung nachzuholen. Aber der Geist ist schon aus der Flasche. Seine Probierbewegungen entwickeln eine eigene Sprengkraft, weil sie nur noch aus Informationen bestehen. Wenn die sich in Kettenreaktionen verselbständigen, entstehen unabhängige Systeme, die unsere Energien an einen Fluss binden.

“Auf der Zeitachse kann man sich nur in Richtung höherer Entropie bewegen.”  tf.uni-kiel.de

Wenn zwei Systeme mit unterschiedlichen Werten kooperieren, gewinnt am Ende das System, das Zeit benutzt, weil es irreversible Fakten schafft. Die Physik hat dafür den zweiten thermodynamischen Hauptsatz aufgestellt. Danach kommt es im “Verlierersystem” zu Energieverlust und Chaos.

Bei vorgegebenen, unantastbaren Zielen fällt das nicht auf. Gefühle von Burnout oder Depression ja eher selten im mainstream geschlossener Gesellschaften. Gemeinsam geteilte Werte geben Ruhe und power, weil sie sich auf der zeitlichen Achse nicht ändern. Dann sind sie wiederholbar und es bleibt die einfache Wahrheit: innen gut, außen schlecht. Bilder in Kopf und Bauch verschmelzen zu einem Film mit sicherem Happy-End als Belohnung.

 virtuel (frz.) = fähig zu wirken, möglich

Das Chaos kommt, wenn wir über unsere Ziele selbst entscheiden müssen und im Strom auf ganz unterschiedliche Werte stoßen. In offenen komplexen Gesellschaften schlagen wir uns dafür nur noch selten tot. Wir vernetzen uns unter dem größten gemeinsamen Nenner, damit keinem der Film reißt. Echt ist dann schlecht. Erwartungen zeigen, wie wir uns im Spielraum der Zeitdimension mit Taktik und Diplomatie gegenseitig Wirklichkeiten vorspielen und aus dem Strom eine virtuelle Welt der Möglichkeiten machen. Nicht umsonst behauptete der Dramatiker Arthur Schnitzler „Wir spielen immer“. Im Alltag haben wir aber nicht die Wahl. Vor allem tun wir es unbewusst. UndBildschirmfoto 2014-12-19 um 18.23.39 da nicht mehr sicher ist, was gespielt wird und wollen wir auch nicht wissen, welche Rolle wir tatsächlich spielen.

Gut für die Evolution – Stress für uns. Und der ist langfristig. Das ist die schlechte Form. Dann lähmt Cortisol unsere Fähigkeit, überhaupt noch eine Entscheidung zu treffen und zu handeln – der systemische GAU. Im Alltag verhindern wir das durch Spaltung: Einer unterhält sich an offenen Enden, der andere handelt an dem Ende, das er kennt.

haseigelDer Bauch wird schlaff und der Kopf zum News Junkie – im Alter lässt sich das hinnehmen. Die Jugend muss ihren Weg zum Erfolgsmodell aber noch finden. In einer Gesellschaft, die das größte Risiko auch am meisten belohnt, muss sie sich mit ungewöhnliche Entscheidung positionieren. Erst dann wird man in Netzwerken überhaupt wahrgenommen. Je offener und sensibler sie für komplexe Wahrheiten sind, desto wahrscheinlicher lähmen die dahinter liegenden Erwartungen.

eine schwebende, tänzelnde Bewegung = “Spilan” (mittelalterlich-hochdeutsch)

Mit der Haltung “Es ist, was es ist” fallen diese Erwartungen in sich zusammen. Im thermodynamischen Gleichgewicht gibt es keine Energieverluste –  jede Entscheidung, jede Bewegung findet unter positivem Vorzeichen statt. Wenn stressige Filme auseinander nehmen und auf die Spitze treiben. Und hier ist der Stress kurzfristig. Das ist die gute Form – die mit dem Adrenalin. Auch die Hoffnung stirbt zuletzt, aber man kann sie wiederholen, bis jedes offene Ende bekannt und das Bild auf der Festplatte wieder rund ist. Dann ist das Chaos beseitigt und das Spiel eine langweilige Komödie.

So ein Zeitraffer für Stresserfahrungen stimuliert sicher die Kreativität. Eine stabile Position ist wichtig, um sich für Lernprozesse zu öffnen. Und Sonderzonen für niedere Instinkte bewahren Vielfalt in Frieden. Allerdings fängt mit diesen Vorsätzen keiner an zu spielen. Übertragen auf Brian SuttonSmiths Umkehrform  wird aus einer möglichen Wirklichkeit eine wirkliche Möglichkeit. Und das macht glücklich, weil überhaupt etwas Interessantes, Spannendes zum Abschluss kommt – egal, wie es ausgeht.

 

Der Befund bestätigt also das, was der Biologe und Philosoph Humberto R. Maturana schon für das Spiel beschreibt: ein Verhalten vor der Entwicklung von Zeitvorstellungen. Offen blieb dabei, was uns daran bis ins hohe Alter reizt und ausgerechnet in komplexen liberalen Gesellschaften so rasant zunimmt. Es fehlt der Zusammenhang zwischen naivem Verhalten und dem, was Brian Sutton-Smith beschreibt: eine Steigerung der Entwicklung, Umkehrform und dialektisches Prinzip.

Diese Lücke lässt sich mit der Theorie temporalisierter Systeme schließen. Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des biologischen Konstruktivismus, wie ihn auch Maturana vertritt. Sie beschäftigt sich speziell damit, wie Zeitvorstellungen den Spielraum der Evolution erweitern. Für die Studie wurde ihr Werkzeug Erwartungen untersucht – eine Technik, mit der Menschen Dank ihrer außergewöhnlichen neurobiologischen Flexibilität in dieser neuen Dimension navigieren. Als Spezies wurden wir damit sehr erfolgreich.

In unserem Bewusstsein entsteht ein Gefühlt für Zeit durch den Vergleich “vorher- nachher”. Auf biologischer Ebene kommt das noch nicht vor. Hier vergleichen unsere Sinne Ursache und Wirkung. Zeit benutzen sie für den  Abbau von Irritationen. Sie bremst sich damit selbst aus. Was Maturana „strukturelles Driften in zirkulärer Gegenwart“ nennt, lässt sich gut auf ein treibendes Boot übertragen, das in Balance bleiben muss. Wir pendeln uns da ein, wo das am schnellsten gelingt. Im Kontakt mit Grenzen und Turbulenzen erstellen unsere Sinne Richtwerte für die beste Lage und überspeichern sie nach jeder neuen überstandenen Unruhe. Es gibt so immer nur ein gültiges “inneres Bild”. An ihm erkennen wir, was für uns richtig ist. Je komplexer es wird, desto leichter und differenzierter können wir Bewährtes wiederholen – desto weniger nehmen Unterschiede und damit Zeit wahr.

Am Besten lässt sich das an Gedanken beobachten. Ohne Not kreisen und pendeln sie hin und her, wie in unseren Träumen. Wenn wir ein Problem, eine Aufgabe lösen wollen, müssen wir sie in eine Reihenfolge zwingen.

Genau das Gegenteil gilt in Zeitsystemen. Je komplexer sie werden,  desto mehr verunsichern sie. Mit der Vorstellung von einem sicheren Hafen müssen wir Bewährtes verlassen und Energien investieren. Weil der gegenwärtige Ausgangspunkt nicht zählt, verlieren „Bauchgefühle“ ihre Gültigkeit. Um den richtigen Kurs zu finden, Strategien zu entwickeln und den Kurs zu halten, brauchen wir kontinuierlich Informationen über Koordinaten und  Richtwerte. Nur der Kopf kann mit dem Radar umgebe. Nur das Gehirn verfügt über die erforderliche neurobiologische Kapazität und Flexibilität. Als “Kapitän” muss er die Richtwerte vorgeben und die blinde  irritierte Mannschaft beruhigen, dass sie auch  “Sinn machen”. Dafür braucht er laufend aktuelle Informationen über den Stand der Dinge und steht entsprechend unter Spannung. Bewusstseinsschema

 

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